- spanisches Weltreich: Das Reich, in dem die Sonne nicht untergeht
- spanisches Weltreich: Das Reich, in dem die Sonne nicht untergehtAm 12. Juli 1519, unmittelbar nach dem Eintreffen der Nachricht über die Wahl zum König des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation«, legte Mercurino de Gattinara, Großkanzler und engster Berater des soeben Gewählten, dem künftigen Karl V. eine programmatische Denkschrift vor. Darin schlug er dem Monarchen, der erst wenige Monate zuvor als König Karl I. in den Reichen der Kronen von Kastilien und Aragonien Anerkennung gefunden hatte, die Formulierung vor: »Römischer König, künftiger Kaiser, immer Augustus, König von Spanien, Sizilien, Jerusalem, der Balearen, der kanarischen und indianischen Inseln, sowie des Festlandes jenseits des Ozeans, Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, Brabant, Steier, Kärnten, Krain, Luxemburg, usw., Herr in Afrika und Asien.«In der Tat reichte das von Karl V. beherrschte Reich, in dem, wie er selbst sagte, »die Sonne nicht unterging«, über die bisher die Grenzen der »Welt« markierenden »Säulen des Herkules«, die Straße von Gibraltar, hinaus. Zu den Gebieten, die einst das Imperium Romanum ausmachten, waren die bis dahin unbekannten und neu entdeckten Länder jenseits der Ozeane hinzugekommen. Zusammen mit dem europäischen Erbe sollte die Führung bei der Entdeckung und Eroberung der neuen Welten nicht nur die Wiederbelebung der mittelalterlichen Vorstellung von einem geeinten christlichen Europa unter der Herrschaft eines christlichen Regenten augenfällig unterstützen, sondern die Eingliederung der »heidnischen« Völker in die Gemeinschaft der Gläubigen bedeutete auch die gleichzeitige Umsetzung des universalen Heilsanspruchs der als Fundament der imperialen Herrschaft dienenden katholischen Kirche. Eroberung, Missionierung und Kolonisierung gehörten folglich aufs Engste zusammen. Das neue Weltreich sollte sowohl die Einheit des Abendlandes wiederherstellen als auch die neu entdeckten und eroberten Länder in den orbis christianus integrieren.Was den Aspekt der Integration in den imperialen Herrschaftsverband betraf, haben die spanischen Könige daher auch immer darauf geachtet, dass die neu eroberten Gebiete Besitzungen der Krone waren. Die »Königreiche der Indien«, wie sie offiziell genannt wurden, waren daher auch den anderen selbstständigen Teilreichen formal gleichgestellt und wurden wie diese durch Vizekönige repräsentiert. Die Gesetzgebung erfolgte durch königliche Ordonnanzen, Instruktionen und Erlasse. Zum Selbstverständnis des frühabsolutistischen, auf ungeteilte Souveränität bedachten Staates gehörte es ferner, das Macht- und Selbstständigkeitsstreben der Konquistadoren in der Neuen Welt einzudämmen und dem eigenen Herrschaftswillen unterzuordnen. Die spanische Krone hat daher gegenüber den Eroberern nie wieder so weit reichende Zugeständnisse gemacht, wie sie diese Kolumbus gewährt hatte.Der zweite Aspekt der Herrschaftssicherung der Krone in der Neuen Welt betraf die Indianer. Wurden die eroberten Gebiete staatsrechtlich als Teil des Imperiums, als »Kronland« betrachtet, so ihre Bewohner, die Indios, als freie Untertanen der Krone, gleichberechtigt mit den Untertanen der europäischen Reichsteile. Überdies legitimierte ja erst die Eingliederung der »indianischen« Völker in die Gemeinschaft der Gläubigen den kirchlich sanktionierten imperialen Herrschaftsanspruch. Fiskalische Aspekte nach der Devise »Ohne Indianer kein Amerika« kamen hinzu. Von ihrem Selbstverständnis her konnte die spanische Krone daher die Misshandlung, Versklavung und Vernichtung der Indianer nicht akzeptieren. Die Wirklichkeit in der Neuen Welt sah indessen anders aus.Auf der Suche nach EldoradoWährend in Europa mit der Wahl Karls V. zum Römischen König die politisch-religiösen Konflikte des Reformationszeitalters vorgezeichnet waren, begann in der Neuen Welt das wohl spektakulärste Unternehmen der conquista, die Eroberung des Aztekenreiches durch Hernán Cortés. Der aus einer reichen Familie des Kleinadels der Estremadura stammende und auf Kuba zu Vermögen gelangte Cortés hatte auf die Kunde vom Goldreichtum des Aztekenherrschers Moctezuma eine unter dem Kommando des Gouverneurs von Kuba, Diego de Velázquez, stehende Expedition verlassen und war, ohne den vorgeschriebenen Vertrag mit der Krone und damit zum Erfolg »verdammt«, zum Festland übergesetzt. Von der als Stützpunkt angelegten Stadt Veracruz brach er mit 663 Mann, 16 Pferden, 10 Feldgeschützen und 4 kleinen Kanonen nach Tenochtitlán auf, dem Zentrum des aztekischen Reiches. Durch geschicktes Taktieren gelang es ihm, mit der Herrschaft der kriegerischen Azteken unzufriedene Völker wie die Tlaxcalteken auf seine Seite zu bringen. Diese erwiesen sich von großem Nutzen, als die Azteken nach der Gefangennahme Moctezumas, provoziert durch die hemmungslose Plünderung der Gold- und Silberschätze und die brutale Unterdrückung ihrer Kulte durch die Spanier, zum Gegenschlag ausholten. Unter hohen Verlusten mussten sich die Spanier in der »traurigen Nacht« des 30. Juni 1520 auf das Gebiet ihrer Verbündeten zurückziehen. Danach setzte die planmäßige Eroberung der Lagunenstadt unter Einsatz von 13 Brigantinen und mit einer auf über 1400 Mann verstärkten Truppe sowie der Unterstützung der Tlaxcalteken ein. Sie endete nach fast dreimonatiger Belagerung am 13. August 1521 mit der Gefangennahme des neuen Herrschers Cuauhtémoc, nachdem eine Pockenepidemie die einheimische Bevölkerung um über die Hälfte dezimiert und ihre Widerstandskraft gebrochen hatte. Von Tenochtitlán aus, das nahezu vollständig zerstört wurde und auf dessen Ruinen die neue Hauptstadt México entstand, wurden unter dem zum Generalkapitän von »Neuspanien« ernannten Cortés, der in mehreren Briefen an Karl V. seine Tat rechtfertigen konnte, in den folgenden Jahren große Teile Mittelamerikas unterworfen.Der Traum, »weitere Mexikos« mit ähnlich reichen Schätzen zu finden, bestimmte die folgende conquista, so den Zug des Cortésbegleiters Pedro de Alvarado nach Guatemala und El Salvador (1524). Von Panamá aus, dem nach Santo Domingo und México dritten großen städtischen Zentrum, erfolgte die Erschließung von Costa Rica, Nicaragua und Honduras, aber auch der Pazifikküste nach Süden. Nach der Zerstörung des Inkareiches durch Francisco Pizarro (1531—33) in einer mit dem Unternehmen Cortés' vergleichbaren Aktion bildete die Hauptstadt des peruanischen Reiches Cuzco einen weiteren Mittelpunkt, von dem aus das westliche Kolumbien, Chile und Bolivien und schließlich von Santiago de Chile aus der Anschluss über die Anden an die spanischen Gebiete im Osten Südamerikas (Argentinien) erreicht wurden. Bereits in den Zwanziger- und Dreißigerjahren waren von den Antillen aus das östliche Kolumbien und Venezuela erschlossen worden, wobei dem Augsburger Handelshaus der Welser — für finanzielle Dienste bei der Wahl Karls V. — die »Statthalterschaft« über Venezuela (1528—56) zufiel. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hatte das spanische Kolonialreich in Mittel- und Südamerika in etwa seine äußeren Umrisse erreicht. Im Norden gelangten Entdecker wie Hernando de Soto auf der Suche nach einem neuen Eldorado bis zu den Appalachen und in die Prärien des Mittleren Westens. Den Bereich der kalifornischen Küste erschlossen Missionare.Bleibt die Frage, wie die Eroberung dieses weiträumigen, von Florida und Kalifornien bis Feuerland reichenden, teilweise dicht besiedelten Raumes mit so geringen Kräften möglich war. Sieht man einmal von den hohen Verlusten und der wilden Entschlossenheit der Konquistadoren ab, die auf Gedeih oder Verderb kämpften, schon weil ihr Sold allein in der Beute bestand, so ist zunächst einmal die technische und taktische Überlegenheit der mit einer besseren Panzerung und Bewaffnung versehenen Spanier zu nennen. Von größerer Wirkung waren allerdings die in der Neuen Welt unbekannten Pferde und die abgerichteten Bluthunde. Hinzu kam, dass die Spanier situationsbedingt agierten, während die »göttlichen« Führer und herrschenden Eliten der ritualisierten und überstrukturierten Gesellschaften, wie sie das Azteken- und Inkareich darstellten, für den Einbruch des völlig Neuen keine Verhaltensmuster besaßen. Zumindest anfangs wird das lähmende Trauma von der »Rückkehr der Götter« mitgespielt haben. Innere Konflikte in den indianischen Staatswesen erleichterten den Spaniern ihr Vorgehen. Unterworfene Völker waren zur Zusammenarbeit bereit, leisteten Kundschafter- und Trägerdienste, stellten beachtliche Hilfstruppen (bis zu 30000 Krieger) und gewährleisteten durch logistische Maßnahmen das Überleben der von jedem Nachschub abgeschnittenen Spanier. Auf die Dauer noch entscheidender dürften aber die von den Spaniern eingeschleppten Bakterien gewesen sein. Sie vor allem führten zum zahlenmäßigen Niedergang der Indianer und der Lähmung ihrer Widerstandskraft.»Kannibalen« oder »wahre Menschen«?Im Jahre 1537 erließ Papst Paul III. eine Bulle, in der die Indianer als »wahre Menschen« bezeichnet wurden, die wie alle anderen menschlichen Geschöpfe der Annahme »des katholischen Glaubens und der Sakramente fähig« seien. Der christliche Oberhirte hätte kaum so ausdrücklich auf die Einheit des Menschengeschlechts verwiesen, wenn es nicht offenbar Zeitgenossen gegeben hätte, die anderer Auffassung waren. Tatsächlich wurden die Indianer als Kannibalen bezeichnet, mit wilden Tieren verglichen und als »dreckige Hunde« beschimpft — und eben auch so behandelt. Dem gegenüber stand allerdings auch schon das Bild des »edlen Wilden«. Bereits in dem Brief des Kolumbus an seinen Gönner am spanischen Hof, Luís de Santángel, vom 4. Februar 1493, der in publizierter Form Europa Nachricht von der Tat des Entdeckers gab, findet sich dieses gegensätzliche Bild des einerseits in paradiesischer Unschuld und Naturnähe lebenden »Wilden« und das des »Menschenfressers« andererseits. Der Vorwurf des Kannibalismus wird künftig das zentrale Argument für die Rechtfertigung der Eroberung, der Versklavung der Indianer und ihrer Zwangsmissionierung liefern.Das sich für den neuen Kontinent durchsetzende Bild des Indianers als »Kannibalen« sollten indessen die in ganz Europa nach 1503/04 weit verbreiteten Vespuccibriefe prägen, die sich aufgrund zugkräftigerer Titel und ihrer geradezu genüsslichen Detailschilderungen des vorgeblich durch den Verfasser selbst beobachteten Kannibalismus von dem eher nüchternen Kolumbusbericht unterschieden. Bei dem gelehrten Humanisten findet sich das gesamte, von antiken und mittelalterlichen Topoi mitbestimmte Arsenal des »barbarischen« Indianers: Nacktheit, libidinöse Sexualmoral, das Fehlen jeder politischen und sozialen Ordnung, keine Religion, ständige Fehden und Kriege und allgemein üblicher Kannibalismus. Nicht anders sieht das Indianerbild des italienischen Humanisten Pietro Martire d'Anghiera aus, der mit seinen seit 1511 in Briefform erschienenen »Acht Dekaden über die Neue Welt« der neben Vespucci meistgelesene Autor von »Americana« war. Auch d'Anghiera, der nie in Amerika war, aber als Chronist der spanischen Krone und Sekretär des Indienrates persönlichen Kontakt zu den Entdeckern besaß, spricht immer wieder von den Indianern als »ekelhaften Menschenfressern«. Schließlich haben nicht zuletzt in spanischen oder portugiesischen Diensten stehende deutsche Konquistadoren wie Ulrich Schmiedel und Hans Staden zur Verbreitung des Kannibalismus-Topos beigetragen. Stadens Bericht über seinen neunmonatigen Aufenthalt bei den brasilianischen Tupinambá im Jahre 1553 enthielt 54 Holzschnitte, nicht weniger als 30 von ihnen waren Abbildungen kannibalistischer Szenen. Selbst das Indianerbild der Missionare war zwiespältig, insgesamt bestimmt von einem paternalistischen Denken, das die Indianer im Stadium der Kindheit sah. Andererseits setzte eine ganze Reihe von ihnen sich noch am ehesten für die unterdrückten und ausgebeuteten Ureinwohner ein.Ihr »kolonialer Protest« setzte 1511 mit der Adventspredigt des Dominikaners António de Montesinos in der Kirche von Santo Domingo auf Hispaniola ein, der den verantwortlichen spanischen Kolonialbeamten die ewige Verdammnis wegen ihrer Verfehlungen gegenüber den Indios prophezeite. Der Missionar, der den Widerspruch der Kirche am schärfsten formulieren sollte, war allerdings der Dominikaner und spätere Bischof von Chiapas (Mexiko), Bartolomé de Las Casas. Als Sohn eines wohlhabenden Adligen, der an der Universität Salamanca Theologie und Jura studiert hatte, lebte der spätere »Apostel der Indianer« zunächst wie die anderen Kolonialspanier auf Hispaniola, bevor das gewalttätige Vorgehen seiner Landsleute ihn dazu führte, über die ethische Rechtfertigung der spanischen Kolonisation und Mission nachzudenken. Die Folge war, dass er auf seinen großen Indianer- und Landbesitz verzichtete und 1515 die erste von insgesamt 14 Seereisen nach Spanien im Einsatz für die Rechte der Indianer antrat. In mehreren Berichten über Amerika übte er heftige Kritik am Verhalten der Spanier und vor allen Dingen an der Missionsmethode. Wichtigste Frucht seines Engagements für die Indianer dürften zweifelsohne die Neuen Gesetze von 1542 gewesen sein, die die Abschaffung der Indianersklaverei dekretierten.Las Casas bezog sich in der Fundierung seiner Argumente stark auf die Vertreter der spätscholastischen Kolonialethik. Es handelte sich bei diesen Spätscholastikern um führende Theologen Spaniens des 16. Jahrhunderts, überwiegend Dominikaner, die an der Universität von Salamanca lehrten (daher auch »Schule von Salamanca«), von denen einige enge Berater Karls V. und Philipps II. waren. Dem Standpunkt der von der päpstlichen Weltherrschaft ausgehenden Theokraten setzten die spätscholastischen Kolonialethiker das Naturrecht und die christliche Offenbarung entgegen. So unterlag es für sie keinem Zweifel, dass es auch bei den »Heiden« rechtmäßige Fürsten und Herrscher gab. Im Hinblick auf das kirchliche Missionsrecht und die Theorien vom »gerechten Krieg«, den die Theokraten bereits durch den Unglauben legitimiert sahen, vertraten sie den Standpunkt, dass weder das Heidentum noch die Ablehnung des christlichen Glaubens einen hinreichenden Grund zum Krieg darstellten. In dem dritten Streitpunkt der kolonialethischen Diskussion der Zeit, nämlich der Frage, ob es »Sklaven von Natur aus« gäbe, betonten sie die grundsätzliche Freiheit aller Menschen.Eine positive Folge der engagierten Kolonialdiskussion stellte schließlich die relativ große Freiheit dar, die den Jesuiten im 17. Jahrhundert für ihr »heiliges Experiment« in Paraguay zugestanden wurde. Dieses bekannteste, in die Geschichte als »Jesuitenstaat« eingegangene Projekt der »Zusammenführung« der Indianer in abgeschlossenen Siedlungen (Reduktionen) bestand rund 160 Jahre und umfasste in seiner Blütezeit 30 Städte mit etwa 140000 indianischen Bewohnern.Die Säulen der HerrschaftDer Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs der Krone in der Neuen Welt diente zunächst der Aufbau eines zentralisierten, bürokratischen Verwaltungsapparates. Schon seit 1492 war ein königlicher Kommissar für Überseefragen zuständig. Aus dieser Einrichtung entwickelte sich bis 1524 der Consejo Real y Supremo de las Indias — kurz Indienrat —, ein Kollegialorgan mit umfassender Zuständigkeit. Er war oberste Verwaltungsbehörde, oberstes Gericht, Finanzbehörde und Leitungsinstanz der kolonialen Kirche. Unter seiner Aufsicht stand auch die bereits seit 1503 existierende Casa de la Contratación de las Indias in Sevilla (ab 1717 in Cádiz), eine Auswanderungs-, Zoll- und Warenumschlagsbehörde. Sevilla entwickelte sich so zum zentralen Anlaufpunkt sämtlicher Kontakte mit Spanischamerika.In Spanischamerika repräsentierten die Vizekönige für Neuspanien (1535) in México und für Peru (1543) in Lima den monarchischen Absolutismus, ergänzt im 18. Jahrhundert durch die Vizekönigreiche Neugranada (1739) und Río de la Plata (1776). Die zunächst rein repräsentative, zeitlich begrenzte Funktion der Vizekönige erfuhr eine Machtstärkung durch die Anhäufung mehrerer Ämter der obersten Verwaltung, aber auch eine Eingrenzung durch die seit 1511 eingerichteten audiencias. Als kollegiale Behörden waren sie oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen sowie Verwaltungsangelegenheiten und bildeten mit dem Vizekönig den Staatsrat. Sie sicherten nicht nur den königlichen Willen, durch Visitationen überwachten sie auch die Einhaltung der Indianerschutzgesetzgebung und stellten damit ein gewisses Korrektiv gegenüber den Kolonialübeln dar.Unter den Vizekönigen rangierten die Provinzgouverneure — im 17. Jahrhundert gab es 39 Provinzen —, darunter folgten die Selbstverwaltungsorgane der Städte, kontrolliert von einem königlichen Beamten, dem corregidor de españoles, während die corregidores de indios als staatliche Bindeglieder zu den nach spanischem Vorbild eingerichteten indianischen Munizipien fungierten. Wichtigste Aufgabe der direkt dem Mutterland unterstellten Finanzbehörden war die Einziehung des königlichen Fünften (später Zehnten) sowie der Erträge der Monopole der Krone, der Verkaufssteuer, der Indianertribute sowie des Kirchenzehnten. Im Jahr 1557 machten diese Abgaben elf Prozent der gesamten Kroneinkünfte aus. Ohnehin bestimmte der ständige Finanzbedarf der Krone das Verwaltungshandeln, was dazu führte, dass die meisten Ämter käuflich und erblich waren und im 17. Jahrhundert, trotz formaler Autorität der Krone, für die Verwaltung die Maxime »Gehorchen, aber nicht ausführen« galt. Hinzu kam eine allgegenwärtige Korruption.Städtegründungen und das damit in unmittelbarem Zusammenhang stehende System der encomienda stellten eine weitere Säule des spanischen Kolonialstaates in der Neuen Welt dar. Von Städten gingen sowohl die Eroberung des Kontinents als auch die dauerhafte Etablierung der Herrschaft aus. Zwischen 1521 und 1572 wurden 200 der wichtigsten Städte Spanischamerikas gegründet. Diese schachbrettartig mit einer von Rathaus und Kirche beherrschten großen plaza in der Mitte angelegten Städte sorgten nicht nur für die Wiedereingliederung der Konquistadoren in ein ziviles Leben, sie entwickelten sich auch zum Sitz der politischen und kirchlichen Verwaltung sowie zu regionalen Wirtschafts- und Kulturzentren.War die Stadt spanisch, so das Land indianisch. Miteinander verbunden waren beide durch die encomienda. Denn da die Spanier zwar für Spanien zu sterben bereit waren, aber nicht zu arbeiten beabsichtigten, wie es ein Historiker im 19. Jahrhundert ausdrückte, sollten die Indianer die eigentliche Arbeit leisten. Als sie dazu nicht freiwillig bereit waren, institutionalisierte die Krone 1503 das bereits zuvor praktizierte Verfahren der »Verteilung« von Indianern, das nunmehr den Spaniern eine Anzahl von ihnen unter Leitung eines Kaziken (Häuptlings) »anempfahl« (spanisch encomendar, daher die beschönigende Bezeichnung encomienda) mit der gleichzeitigen Verpflichtung, ihre »Schützlinge« im christlichen Glauben zu unterweisen. Die encomienda trug entscheidend zur Auflösung des indianischen Sozialsystems und zur Etablierung einer spanisch dominierten Kolonialgesellschaft bei.Den religiös-kulturellen Wandlungsprozess unter kolonialen Vorzeichen bewirkte dagegen die Kirche, die den dritten Stützpfeiler des spanischen Kolonialreiches darstellte. Wenn die Spanier nur eine schwache Kolonialarmee besaßen, dann gab es doch die »Armee« der Missionare und ihrer Helfer. Von 1493 an, als der erste Geistliche Hispaniola betrat, bis zur Unabhängigkeit Spanischamerikas zu Anfang des 19. Jahrhunderts gingen mehr als 15000 Missionare in die Neue Welt. Sie erfüllten neben ihrem Glaubensauftrag eine wichtige Funktion bei der Kontaktaufnahme selbst zu den entlegensten indianischen Völkerschaften, bei deren Zusammenziehung in Dörfern und bei deren Erziehung zu hispanisierten Untertanen, wobei die Missionsmethode lange Zeit in der radikalen Zerstörung einheimischer Kulte und Kultstätten bestand.Kam es mit der Ankunft der großen Missionsorden der Franziskaner, Dominikaner und Jesuiten bald zu einer flächendeckenden Gemeindebildung, auf deren Basis die »geistliche Eroberung« einsetzen konnte, so baute die amtskirchliche Hierarchie auf der Pionierarbeit der Missionare auf. Die Einrichtung von 35 Diözesen und fünf Erzdiözesen bis 1620 war Ausdruck dieses kolonialen Staatskirchentums. Denn mit den »westindischen Edikten« von 1493, die in der Neuen Welt zum »königlichen Universalpatronat« (1508) erweitert wurden, besaß die Krone nicht nur die oberste weltliche Gewalt in den Kolonien, sondern ihr Inhaber war auch das Haupt der kolonialen Kirche, deren Amtsträger somit Funktionäre des kolonialen Staates waren. So gerieten alle Angelegenheiten der Kirche unter staatliche Aufsicht, während sie selbst als »staatliche« Einrichtung die Aufgabe der Eingliederung der Indianer in den kolonialen Untertanenverband und in den europäischen Kulturbereich übernahm.Rassen und KastenMit der Freigabe der Entdeckungsfahrten und dem Auftrag an private »Kriegsunternehmer«, Land in der Neuen Welt »zu entdecken, zu erobern und zu besiedeln«, vollzog sich in Spanischamerika der Übergang zur Siedlungskolonisation. Damit stellten sich auch die für eine Siedlungskolonie typischen Probleme von Rassenmischung und Rassentrennung. An der Spitze der politisch-gesellschaftlichen Pyramide standen die spanischen Eroberer. Etwa 95 Prozent von ihnen, vom niederen Adligen bis zum einfachen Handwerker, kamen aus Kastilien, ungefähr drei Prozent waren Ausländer (Portugiesen, Italiener, Deutsche), die Ausnahmegenehmigungen von der Casa de la Contratación erhalten hatten, während Mauren, Juden, Zigeunern, »Häretikern« (Protestanten) und selbst »Neuchristen«, also getauften Juden und Mauren, der Zugang nach Amerika verwehrt war. Dennoch gelangten Angehörige dieser Gruppen, teils heimlich über Brasilien, aber auch, weil man Siedler benötigte, in die Neue Welt. Als Strafkolonie wurde Spanischamerika nie in Betracht gezogen, ebenso wie es hier keine »weißen Sklaven«, das heißt zur Ableistung ihrer Überfahrt auf bestimmte Zeit verpflichtete Arbeitskräfte, gab. Dagegen waren schon seit der dritten Fahrt des Kolumbus Frauen an der Auswanderung beteiligt. Zwischen 1560 und 1579 betrug ihr Anteil an der spanischen Bevölkerung fast 30 Prozent. Bereits nach 1560 übertraf der natürliche Zuwachs der Spanier die Einwanderung. Ihre Zahl lag 1570 bei 118000 (1,25 Prozent der Bevölkerung).Der ansteigenden Kurve für die Europäer entsprach die absinkende Kurve für die Indianer. Bei aller Unsicherheit hinsichtlich der Zahlen ging nach heutigem Stand der Forschung die Anzahl der ursprünglichen Einwohner Amerikas zwischen 1500 und 1600 von etwa 70 Millionen auf 10 Millionen zurück, in Mexiko, Mittelamerika und Peru um über 90 Prozent. Entscheidender für den Bevölkerungsrückgang als die brutale Unterwerfung und anschließende rigide Behandlung der Indianer waren die epidemischen Auswirkungen des Kontaktes zwischen den Europäern und den amerikanischen Ureinwohnern. Zu den »importierten« Infektionskrankheiten mit verheerenden Auswirkungen gehörten Pocken, Diphtherie, Beulenpest, Cholera, Amöbenruhr, Masern, Windpocken, Scharlach, Keuchhusten, ja selbst grippale Infekte. Der verbliebenen Indianer harrte das Schicksal kolonisierter Völkerschaften, was aber auch hieß, dass sich Teile erfolgreich in die koloniale Gesellschaft zu integrieren vermochten. Eine christianisierte indianische Führungsschicht etablierte sich als koloniales Bindeglied zu den »Untertanen«, ihre Angehörigen konnten bis in den spanischen Niederadel aufsteigen. Das bedeutete für sie das Recht, den Titel »Don« zu führen und ein Schwert zu tragen, eigenen Gerichtsstand und das Vorrecht, ihre Kinder auf höhere Bildungsanstalten zu schicken. Frauen des indianischen Adels vermochten gar bis in die Oberschicht aufzusteigen, ihre Kinder galten bereits in der zweiten Generation wieder als Spanier.Auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie standen die aus Afrika zwangsimportierten Sklaven. Hispanisierte Schwarze waren als Diener schon mit den ersten Konquistadoren in die Neue Welt gekommen. Nach 1520 setzte dann aufgrund des Rückgangs der Indianer die direkte Zufuhr von Sklaven aus Afrika ein. Insgesamt nahm Spanischamerika etwa 1,5 Millionen Afrikaner auf, das sind 15 Prozent der in die Neue Welt verbrachten Sklaven. Sie arbeiteten vor allem in den Gold- und Silberminen, auf den Farmen und Plantagen, aber auch für ihre Besitzer als Handwerker und Tagelöhner in den Städten. Freilassung und Verkauf waren möglich, auch gar nicht so selten. Während es zumindest eine Indianerschutzgesetzgebung gab, waren die schwarzen Sklaven ihren Herren aber nahezu schutzlos ausgeliefert.Aus diesen drei die koloniale Sozialordnung bestimmenden Gruppen erwuchs die multirassische und multiethnische Gesellschaft Iberoamerikas. Zentrales politisch-ideologisches Mittel, mit dem sich die herrschende Minderheit sozial abschloss, war das im 13. Jahrhundert in der Auseinandersetzung der Spanier mit Mauren und Juden entstandene Prinzip der »Blutreinheit«, das rigoros in die Neue Welt übertragen wurde. Nur »altchristlichen« Spaniern blieben die höchsten Stellungen in Staat, Verwaltung, Armee und Kirche vorbehalten. Selbst Zünfte und Korporationen, die für sich ein höheres Ansehen beanspruchten, wie die Goldschläger, verlangten den Nachweis altspanischer und altchristlicher Herkunft. Von daher war die Heirat mit einer spanischen Frau — als Garantin der »Reinheit des Blutes« — Grundlage des sozialen Status. Die Eurospanier grenzten sich sogar gegenüber den in Amerika geborenen Spaniern, den Kreolen, ab. Vermögen und Förderung durch die Krone ließen die oft von den Konquistadoren abstammende kreolische Oberschicht zwar an gesellschaftlicher Stellung gewinnen. Aber die Realität sah dennoch so aus, dass von den 166 Vizekönigen und 588 Generalkapitänen, Gouverneuren und Präsidenten nur 18 Kreolen waren. Ihre politische Unzufriedenheit war Initialzündung der Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jahrhundert.Während die Verbindungen von Spaniern mit Afrikanern, aus denen die Mulatten hervorgingen, gesellschaftlich nicht akzeptiert wurde, hatte die Krone, schon um Christianisierung und Hispanisierung der neuen Untertanen zu fördern, bereits 1501 und nochmals 1514 Mischehen zwischen Spaniern und Indianern, die die Mestizen hervorbrachten, erlaubt. Daneben existierte das aus Altspanien bekannte, dort jedoch inzwischen verbotene Institut der barraganía, eine freie Ehe mit privatem Vertragscharakter. Die meisten Verbindungen mit indianischen Frauen waren indes illegitim.Waren es anfangs noch geraubte und vergewaltigte indianische Frauen, so gab es doch auch freiwillige Verbindungen mit den Spaniern. Für diese bedeutete ein Zusammenleben etwa mit einer Kazikentochter eine reichliche Mitgift, nicht zuletzt in Form von Land. Mit der Zuwanderung europäischer Frauen und dem sich seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts verschärfenden Rassismus sanken die aus illegitimen Verbindungen stammenden Mestizen in eine zunehmend untergeordnete Position. Sie besaßen keinen Zugang zu den öffentlichen Ämtern, wurden nicht zum Priesteramt zugelassen oder in Klöster aufgenommen und blieben von den Universitäten ausgeschlossen. Als Farbige durften sie sogar an den Schandpfahl gestellt und ausgepeitscht werden. Aber wie in anderen Bereichen sorgten Einfluss und vor allem Geld (»sich weiß kaufen«) für Ausnahmen.So gut wie keine Ausnahmen gab es hingegen für die gesellschaftlich nicht anerkannten und verachteten Mulatten sowie die verschiedenen, von den einzelnen Rassenmischungen hervorgebrachten Kasten. Namentlich die aus der Verbindung von Indianern und Afrikanern hervorgegangenen Zambos wurden grausam bekämpft. Die ständige Zunahme der Mischlings- und die langsame Erholung der Indianerbevölkerung bei gleichzeitiger Abnahme der »reinblütigen« Spanier führten auch in dieser Siedlungskolonie zu einer Fülle von diskriminierenden Gesetzen und Erlassen und der Sorge bei den herrschenden Eurospaniern, eines Tages die Macht zu verlieren.Prof. Dr. Horst GründerWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Lateinamerika zwischen Kolonialismus und Unabhängigkeit (1763 bis 1820): Spaniens Rückzug aus der Neuen WeltSpaniens Hegemonie im 16. und 17. Jahrhundert: Katholische VormachtGrundlegende Informationen finden Sie unter:Cortés, Hernán: Die Eroberung Mexikos. 1520-1524. Auszug aus den Memoiren des Bernal Díaz del Castillo. Neu herausgegeben und bearbeitet von Ernst Bartsch. Stuttgart u. a. 1996.Die Entdeckung von Peru 1526-1712. Die Eroberung des Inkareiches durch Pizarro und andere Conquistadoren. Die Augenzeugenberichte von Celso Gargia, Gaspar de Carvajal und Samuel Fritz, herausgegeben von Evamaria Grün. Mit einem Nachwort von Ernst Bartsch. Stuttgart u. a. 1996.Gründer, Horst: Welteroberung und Christentum. Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit. Gütersloh 1992.Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, herausgegeben von Walter L. Bernecker u. a. Band 1: Mittel-, Südamerika und die Karibik bis 1760, herausgegeben von Horst Pietschmann. Stuttgart 1994.Lockhart, James/Schwartz, Stuart B.: Early Latin America.A history of colonial Spanish America and Brazil. Cambridge 1983. Nachdruck Cambridge 1989.Wolf, Eric R.: Die Völker ohne Geschichte. Europa und die andere Welt seit 1400. Aus dem Amerikanischen. Studienausgabe Frankfurt am Main u. a. 1991.
Universal-Lexikon. 2012.